Man könnte meinen, dass Menschen mit einer körperlichen und psychischen Beeinträchtigung in der Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit erfahren, als es vor einigen Jahren noch der Fall war — zum Glück. Zum Teil liegt das auch an neueren Gesetzen: So sind barrierefreie Websites für Bund, Länder, Gemeinden sowie für juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts Pflicht. Diese ergibt sich aus dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und der aktualisierten Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) als Umsetzung der EU-Richtlinie (EU) 2016/2102.
Von privatwirtschaftlicher Seite wird dieses Thema manchmal noch vernachlässigt. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand:
- Die Reichweite wird erhöht: Schätzungen gehen von 30 Prozent der Bevölkerung aus, die eine Sehbeeinträchtigung haben, motorische Einschränkungen besitzen, von einer Konzentrationsschwäche betroffen sind oder nur über eine begrenzte Lesekompetenz verfügen. 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gelten als schwerbehindert. Dank Hilfstechnologien nutzt diese Gruppe das Internet sogar überdurchschnittlich. Dennoch sind viele Websites nicht darauf abgestimmt, weshalb schlimmstenfalls Informationen verborgen bleiben. Aus der Perspektive der Unternehmen wird mit einem barrierefreien Marktauftritt die Reichweite erhöht.
- Die Zielgruppe wird erweitert: Arztpraxen, Optiker*innen und andere Dienstleister*innen sollten diese Zielgruppen von vornherein beachten, aber viele andere Unternehmen haben die Möglichkeit, ihre Zielgruppe um diese Menschen zu erweitern.
- Die Suchmaschinenoptimierung wird verstärkt: Barrierefreies Webdesign verlangt eine logische Struktur des Quellcodes. Unter anderem mit alternativ-beschriebenen Bilder verstehen nicht nur Blinde den Kontext der Website, sondern auch die Crawler der Suchmaschinen. Damit steigen die Chancen auf ein besseres Ranking in den Suchmaschinen.
- Die Bedienbarkeit wird verbessert: Abgesehen von den unmittelbar betroffenen Menschen sind barrierefreie Websites für alle Menschen leichter zu bedienen — mit barrierefreien Navigationsmechanismen bekommen Anwender*innen schneller eine Orientierung, mit barrierefreien Farbkonzeption funktioniert die Website in verschiedenen Alltagssituationen besser, etc.
- Die mobile Nutzung wird erleichtert: Es gibt nicht nur menschliche Barrieren, sondern auch technische. Barrierefreie Websites sind daher auch für schlechte Datenverbindungen und kleine Displays optimiert.
- Die Qualität des Codes wird zunehmen: Barrierefreies Webdesign fußt auf modernen technologischen Standards. Damit ist die Website in der Regel leichter zu warten, leichter zu pflegen und irgendwann auch leichter mit einem Redesign oder Relaunch zu überholen.
- Es ist die Zukunft: Unternehmen können mit einem barrierefreien, inklusiven Marktauftritt vorweggehen, während die Bedeutung von Barrierefreiheit und Inklusion weiter steigt. Das schafft eine Vorbildfunktion und wirkt sich positiv auf das Image aus.
Was ist inklusives und barrierefreies Design?
Oft wird der Begriff »Barrierefreiheit« zuerst mit baulichen Veränderungen wie Rampen und Aufzügen assoziiert, aber der Begriff muss größer gefasst werden. Barrierefreiheit bedeutet, Lebensbereiche so zu gestalten, dass sie für alle Menschen ohne fremde Hilfe zugänglich sind. Bei näherer Auseinandersetzung wird schnell klar, dass es mit abgesenkten Stufen nicht getan ist, sondern die Menschen auch Broschüren, Online-Angebote oder gar Behördenformularen verstehen können müssen. Die Sprache ist dabei wesentlicher Aspekt, die Gestaltung gehört aber auch dazu — mit lesbaren Schriften, verständlichen Layouts und barrierefreien Farbkonzepten. Digitale Barrierefreiheit umfasst neben einer entsprechenden Gestaltung auch einige technische Aspekte wie die Unterstützung verschiedener Hilfstechnologien (Tastaturbedienung, Screenreader, etc).
Die Begriffe barrierefreies Design und inklusives Design sind nicht deckungsgleich. Barrierefreies Design ist möglichst universell und zugänglich. Inklusives Design steht explizit für das Einbeziehen von Perspektiven und Lösungen, die nicht alle betreffen. Ein Beispiel ist die Untertitelung von eingebetteten Videos.
Und warum ist es dann noch kein Standard?
Designer*innen gehen bei ihrer Arbeit manchmal sehr selbstverständlich von Idealsituationen aus: Sie selbst haben meist keine Einschränkung und verfügen über topaktuelle Geräte. Die Arbeit der Designer*innen setzt ferner gute Beleuchtungsverhältnisse voraus, praktisch werden diese Beleuchtungsverhältnisse dann aber auch vorausgesetzt. Das ist ein Problem.
Zum anderen gibt es auch Vorbehalte gegenüber barrierefreiem Design. Es wird von manchen Designer*innen immer noch als Einschränkung empfunden. Praktisch ist es aber keine Einschränkung von »Design«, sondern macht es vielleicht erst zu einem »guten Design«, wenn es für mehr Menschen in mehr Situationen besser funktioniert.
Auf verschiedene Weisen ist eine mangelnde Barrierefreiheit auch auf Webtechnologien zurückzuführen. Ältere Webtechnologien wie Adobe Flash/Shockwave waren nicht barrierefrei und trotzdem der Marktstandard. Für Barrierefreiheit bedeutsame Webtechnologien wie Media Queries für verschiedene Bildschirmgrößen, reduzierte Animationen oder datenreduzierte Aufbereitungen sind dagegen verhältnismäßig neu.
Fazit
Für weite Teile der Gesellschaft ist barrierefreies Design von elementarer Bedeutung. Es bringt aber weit darüber hinaus viele Vorteile für Unternehmen. Schon mit einfachen Mitteln sind erste Schritte zu einem barrierefreien Marktauftritt getan.