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Eine zwei mit einem Pfeil auf einer Betonwand
Foto: © Marianne Bos/Unsplash.com

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Zwei Jahre selbstständig als Grafik- und Webdesigner

Ein Freund, der sich mit einer ironischen Leidenschaft an den Phrasen der deutschen Sprache bedient, bereitete mich ungefähr mit diesen Worten auf die Selbstständigkeit vor: »Aber das bedeutet selbst und ständig«. Na gut, aber was es wirklich bedeutete, wusste ich zu dem Zeitpunkt trotzdem noch nicht. Vorab kann ich aber schon einmal sagen, dass es eine gute Entscheidung war: Zum einen sieht das Auftragsbuch inzwischen ganz gut aus, zum anderen habe ich in den zwei Jahren so viel gelernt, wie ich es als Arbeitnehmer in der gleichen Zeit sicher nicht geschafft hätte. Kleinere und größere Erkenntnisse aus diesen zwei Jahren in Selbstständigkeit möchte ich teilen – ganz offen für alle, die es interessiert. Um noch ein paar Phrasen hinterherzuschieben: Butter bei die Fische, Hand aufs Herz, jetzt wird Tacheles geredet.

1. Fehler: Zu glauben, dass es schon kommt

Das ist mein naivster Fehler und ja, ich hätte es vorher wissen müssen, aber ich habe die Akquise in den ersten Monaten sehr unterschätzt. Ich hatte zwar reichlich Arbeitserfahrung, eine gute Ausbildung und überdies allerhand persönliches Interesse, aber praktisch bin ich als Kleinunternehmer ohne Kundenstamm, ohne beruflichem Netzwerk und ohne Testimonials und eigener Referenzen gestartet. Rückblickend kann ich sagen, dass das trotzdem machbar ist. Rückblickend weiß ich aber auch: Eine neue Website reicht nicht, sporadisch geschaltete Anzeigen bei Google und Instagram reichen nicht aus, Flyer reichen auch nicht aus. Grafik- und Webdesigner*innen gibt es fast wie Sand am Meer (jaja, ich höre auf mit den Phrasen). Deshalb habe ich sehr schnell selbst erfahren, wie wichtig es ist, das eigene Profil zu schärfen und herauszustechen. Ich würde nicht sagen, dass das abgeschlossen ist, aber wie ich das gemacht habe, formuliere ich weiter unten. Hier musste wirklich ein größerer Stein ins Rollen gebracht werden (das war jetzt aber wirklich die vorerst letzte Phrase, versprochen!).

2. Fehler: Angebot nicht klar herausgestellt

In den ersten Versionen meiner Website habe ich gar nicht klar benannt, was ich mache, leider nicht einmal auf der Startseite. Ich bin Grafik- und Webdesigner, das ist klar, auch aus meinen Referenzen geht hervor, was ich anbiete. Und ich dachte, das reicht. Aber eigentlich weiß ich, wie es um die Aufmerksamkeit im Internet bestellt ist: Ich selbst möchte Informationen auch nicht suchen, sondern finden.

Eine schwarze Katze guckt auf ein iPad mit geöffneter Website

Deshalb habe ich mit der Zeit Leistungen konkreter benannt und beworben, auch den Nutzen habe ich betont. Das ganze Angebot habe ich ausformuliert und Case Studies mit näherem Praxisbezug veröffentlicht.

3. Fehler: Das kostenlose Geschäftskonto

Neobanken finde ich erst einmal ansprechend: die nahezu oder komplett papierlosen Vorgänge, die modernen Apps, die attraktiven Konditionen. Meine Wahl fiel dabei auf eine Bank, die trotz des vorangestellten »Neo« eigentlich eine Branchengröße ist. Das Business-Konto ist kostenlos, die MasterCard ebenso, auf versteckte Gebühren bin ich kein einziges Mal gestoßen. Leider geriet die Bank aber immer wieder in die Schlagzeilen, weil sie Geldwäsche nicht ausreichend bekämpfte. Unschön, aber ich habe ja nichts damit zu tun, dachte ich. Das änderte sich, als ich vernahm, dass eine Kundin von ihrer Bank sogar gefragt wurde, ob sie einen Betrag in dieser Höhe wirklich auf das Konto bei dieser Bank überweisen möchte. Ich habe auch vermutet, dass einige Überweisungen in dieser Zeit intensiver geprüft wurden, weil sie ungewöhnlich lang dauerten.

Außerdem fiel mir irgendwann auf die Füße, dass das Geschäftskonto keine angemessene Möglichkeit geboten hat, die Umsätze für die Buchhaltung zu exportieren. Lediglich ein PDF-Export des Kontoauszugs und ein CSV-Export, der aber keinem standardisierten Format folgt, standen mir zur Verfügung. Praktisch enden beide Optionen in unnötiger Fleißarbeit. Gefreut hätte sich meine Steuerkanzlei über eine DATEV-Verknüpfung, eine HBCI-Schnittstelle oder wenigstens einen MT940-Export. Das wäre auch branchenüblich bei Geschäftskonten. Diesen Fehler konnte ich korrigieren, aber von heute auf morgen ist ein Kontowechsel auch trotz Neobanking nicht möglich.

4. Fehler: Zu wenig Pausen

Plötzlich steht man ohne Vorgesetzte da: Die Arbeitszeiten legt man selbst fest – und wenn man doch nicht am Arbeitsplatz erscheint, muss man es auch niemanden erklären. Ob man 30 Minuten, eine Stunde oder länger Pause macht, interessiert praktisch niemanden. Verpflichtet ist man nur sich selbst gegenüber. Dieses Maß an Eigenverantwortung habe ich zuvor nicht erfahren, glaube ich. Deshalb hatte ich Zweifel, ob ich diese Disziplin habe. Was ich nicht wusste: Die Verantwortung zu tragen, war gar nicht mein Problem. Überhaupt nicht.

Zwei Katzen blockieren einen Schreibtisch mit Tastatur, Laptop und Bildschirm

Erlernen musste ich dagegen die Disziplin, auf mich selbst zu achten: Mal wirklich Wochenende zu machen, Mal nicht an Arbeit denken. Feste Pausen zu nehmen und dabei nicht am Smartphone oder Laptop zu sitzen. Vielleicht ist das eine Typfrage, aber das waren meine Herausforderungen. Zeit hat einen ökonomischen Anspruch bekommen, der bis in die Freizeit reichte. Insbesondere, weil ich überwiegend im Home-Office arbeite, ist das eine Herausforderung. Deshalb hatten sich auch private Prioritäten verschoben. Geholfen haben mir feste Routinen, Entspannungsübungen, Spaziergänge, Selbstreflexion. Und das Katzenstreicheln manchmal natürlich auch. 🐈

5. Fehler: Preise nicht richtig kalkuliert

In den ersten Monaten hatte ich Schwierigkeiten, den Wert meiner Arbeit festzulegen. Vor allem hielt ich als Kleinunternehmer aber noch mein altes Angestelltengehalt für das Maß der Dinge: Ungefähr so habe ich überschlagen, dass ich dieses Angestelltengehalt mit einem Projekt Pi mal Daumen erreichen würde und war da fast zufrieden. Praktisch kommen aber auch Monate, in denen sehr wenig passiert – und die Miete, die Krankenkasse sowie viele andere Kosten möchten trotzdem getragen werden. Und der nächste Fehler ist, sich daran zu orientieren, wie die Konkurrenz das regelt. Mit vielen Stundenlöhnen möchte ich nicht konkurrieren. Ich vermute, dass einige Webdesigner*innen nur nebenberuflich ihrer Selbstständigkeit nachgehen oder andernfalls unterhalb der Armutsgrenze leben. In einer Kalkulation, die sämtliche Ausgaben und Sozialversicherungen einschließt, Urlaubszeiten und andere Faktoren berücksichtigt, kommt man jedenfalls auf andere Stundensätze. Und einen Gewinn braucht es auch, da müssen wir uns vormachen: Ich möchte nicht nur die Zeit für den Urlaub finanziell auffangen können, sondern auch selbst mal in den Urlaub fahren.

Andere Preismodelle neben den Stundensatzberechnungen wie Paketpreise halte ich wiederum unvereinbar mit meinem Geschäftsmodell: Ich bin Gestalter, Kreativer – und ich glaube daran, dass es auch neue Ideen braucht. Dabei kann man immer noch festen Abläufen folgen, aber für mein Gefühl ist diese Leistung nicht in pauschalen Preisen zusammenzufassen. Ich müsste viel zu oft sagen, dass dieser Kundenwunsch oder jene Idee an Grenzen stößt oder einiges nachberechnen. Und andere würden mit Paketpreisen wiederum mehr zahlen, wenn sie den ganzen Umfang des Pakets gar nicht nutzen. Das erscheint mir nicht fair. Stattdessen möchte ich mir die Zeit für ein individuelles Angebot nehmen und dieses transparent ausgestalten.

1. Gute Idee: Leerlauf zum Texten nutzen

Besonders in den ersten Monaten war das Auftragsbuch nicht allzu prall gefüllt. Rückblickend war es eine ziemlich gute Idee, die Zeit zwischen den Aufträgen zu nutzen, um das Angebot im Internet auszubauen. Auf meinen Websites habe ich einige Blogartikel veröffentlicht und sogar Tools wie den Simulator für Farbschwächen entwickelt. Für die Suchmaschinenoptimierung (SEO) war das sehr gut: Pro Monat kommen aktuell (Stand Dezember 2022) mehr als 1.500 Besucher*innen allein über Google (als wichtigste Traffic-Quelle), Tendenz steigend. Das mag insgesamt ausbaufähig erscheinen, aber ich glaube, in meiner Branche damit gar nicht so schlecht dazustehen, insbesondere nach den zwei Jahren. Und mit Suchmaschinenmarketing (SEM), also bezahlten Anzeigen, wäre die gleiche Zahl an Klicks ein arg teurer monatlicher Posten. Zudem tat es mir auch psychisch gut, den Leerlauf sinnvoll nutzen – und nicht das Gefühl zu haben, Zeit zu verplempern.

Kolleg*innen schwören eher auf Instagram oder andere soziale Netzwerke. Dem bin ich gar nicht abgeneigt, aber letztlich wollte ich das, was ich mache, richtig machen. Für Instagram & Co. reicht neben Blogging meine Zeit nicht. Und vielleicht erreiche ich mit Blogging meine Zielgruppen auch besser als auf Instagram – das ist sicher etwas anderes, wenn man sich mehr auf B2C statt B2B konzentriert.

2. Gute Idee: Profil und Spezialisierung

Ich habe es eben schon fast genannt, aber ich möchte dieser Idee eine eigene Überschrift widmen: Es war wichtig, das eigene Profil zu schärfen und sich zu spezialisieren. Auf generische Keywords wie Webdesign oder Grafikdesign braucht man seine Website kaum optimieren – zwar schneidet meine Website bei der lokalen Suche (Local SEO) damit gar nicht mal so schlecht ab, aber die Konkurrenz ist gewaltig. Und auch hier knüpfe ich an bereits Gesagtes an: Die Konkurrenz hat unter so allgemeinen Keywords auch Preise, mit denen man kaum mithalten kann. Und es gibt neben Billig-Angeboten auch Konkurrenz, die qualitativ auch gar nicht schlecht aufgestellt ist. Wichtig ist, Gründe zu schaffen und zu kommunizieren, warum man mich anfragen sollte. Von der grauen Masse hebt mich zum einen ein Design-Verständnis mit dem Anspruch auf Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit ab. Neben unmittelbaren Umweltkriterien meint das auch, dass Design für mich kein Selbst­zweck ist, son­dern einer Funk­tion folgt. Denn auch, was Werbung betrifft, leben wir in Zeiten des Überflusses. Ich möchte aber dabei helfen, mit Menschen in Dialog zu treten. Stra­te­gie und Metho­dik haben einen fes­ten Platz in meiner Kon­zep­tion und Gestal­tung.

Noch konkreter habe ich mich mit der eigenen Marke barrierefreies.design (und der gleichlautenden Website) spezialisiert. In der Gestal­tung und der tech­nischen Umset­zung von Web­sites strebe ich ein hohes Maß an Barriere­frei­heit an, damit die Inhalte mög­lichst vielen Men­schen zugäng­lich sind. Dort fängt Dis­krimi­nie­rungs­frei­heit bereits an. Und: Es ist ein gefragtes Thema. Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility/CSR) im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens rückt zunehmend in den Blickpunkt. Ich nehme an, dass das Thema noch gefragter wird.

3. Gute Idee: Netzwerken

Ja, gut, Netzwerken ist jetzt keine neue Idee. Das liest man quasi überall, wie wichtig es ist, berufliche und persönliche Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Vielleicht kann ich aber sagen, wie ich es gemacht habe. Mir kam jedenfalls entgegen, dass ich vor Ort schon vernetzt war – etwa durch Vereine oder politische Interessengruppen. Da ging und geht es um persönliche Überzeugungen, für die ich keinen persönlichen Gegenwert erwartet habe. Diesen Gedanken finde ich beim Netzwerken ohnehin unangenehm. Trotzdem, oder nein, deshalb entstanden daraus mit der Zeit vertrauensvolle Zusammenarbeiten. Geholfen haben aber auch soziale Netzwerke wie reflecta.network oder Facebook-Gruppen. Auch bin ich direkt auf Unternehmen zugegangen. Mit Agenturen, Grafik- und Webdesigner*innen, Fotograf*innen, Texter*innen und vielen anderen netten Menschen stehe ich in einem regen Kontakt. Mit LinkedIn oder XING bin ich entgegen ihrer Popularität eher nicht warm geworden. Ich glaube, mein LinkedIn-Profil wird hauptsächlich von Business Consultants und Coaches aufgespürt. Für mein Gefühl werden dort die Kontakte auch eher »gesammelt«.

4. Gute Idee: Hilfe suchen und annehmen

Unter Unternehmer*innen hat der Staat (gefühlt) vor allem den Ruf als Last, als steuerschluckendes Bürokratiemonster. Als Unternehmer habe ich »den Staat« (als Synonym für öffentliche Stellen) aber auch ganz anders kennengelernt: Die Bürokratie war als Kleinunternehmer wirklich sehr überschaubar, die IHK war für Fragen gut zu erreichen. Die »Kreativagentur Brandenburg« hat kostenfreie Coachings speziell für die Kultur und Kreativwirtschaft in Brandenburg angeboten, was ich auch dankend in Anspruch genommen habe. Für die ersten Monate habe ich von der Agentur für Arbeit auch einen Gründungszuschuss bezogen, der meine soziale Absicherung sicherstellte.

Abschluss

Eine letzte kleine Erkenntnis, die ich noch teilen möchte, ist, dass kleine Krisen normal sind. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich das alles hier nicht auch mal bereut hätte. Aber mehr und mehr manifestiert sich, dass es die richtige Entscheidung war – sogar in einer Zeit globaler Krisen. Viele Ängste, die man in der Zeit durchlebt, sind wahrscheinlich sehr normal. Mir half die Konfrontation mit den Themen und die praktische Erfahrung, die eigentlich jeden Tag wächst.

Das Zusammenfassen der Erfahrungen aus meiner ersten Zeit der Selbstständigkeit hat einige Zeit beansprucht. Ich schaue mal, wie die Resonanz auf diesen Artikel ausfällt – vielleicht teile ich öfter solch offene Einblicke in mein Unternehmen. Ganz nebenbei möchte ich auch eine andere Fehlerkultur praktizieren: Ich finde es gut, über Erfahrungen zu reden, die nicht immer Teil einer Erfolgsgeschichte sein müssen – um gemeinsam zu wachsen und selbst zu wachsen. Auch zur eigenen Selbstreflexion war dieses Résumé hilfreich. Ich freue mich auf die nächste Zeit, die nächsten Aufträge, die nächsten Kontakte.